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Home sweet home

Zu Hause, das ist da, wo man sich wohlfühlt. Doch für viele ist es gar nicht so einfach, einen derartigen Raum zu schaffen. Die Interior Designerin Ute Wagner hilft unglücklichen „Wohnern“ bei der Neugestaltung ihrer vier Wände.

Lockdown. Geschäfte geschlossen. Restaurants nur mit Essen zum Mitnehmen. Konzerte abgesagt. Was bleibt, ist das traute Heim. In dieser Situation bekommen die eigenen vier Wände natürlich eine ganz neue Bedeutung. Das zeigte sich zuletzt noch an den langen Schlangen vor dem Baumarkt, die Menschen wollten die Zeit nutzen, um das eigene Zuhause etwas aufzupeppen. Und nicht nur das. Wenn Homeschooling auf Homeoffice trifft und die gesamte Familie sich über längere Zeit drinnen aufhält, ist es schön, Rückzugsorte zu haben. Die ansonsten so beliebte offene Raumaufteilung mit weitläufigem Wohn-Koch-Essbereich ist da nicht unbedingt optimal. Aber auch sonst fallen im Lockdown überall Dinge auf, die man noch verbessern könnte oder schon lange wollte. Das alte Sofa hat vielleicht seine besten Tage hinter sich. Die knallbunte Kommode, die man noch aus der Studienzeit besitzt, ist irgendwie nur noch nervig. Und könnte man die Möbel nicht mal ganz anders anordnen?

„Wir brauchen ein gewisses Maß an Reizen, um uns wohlzufühlen.“

Blick durch die Linse

Auch bei Ute Wagner zu Hause wird gerne mal alles auf den Kopf gestellt, neue Dinge ausprobiert. Die 51-Jährige liebt es, mit der Einrichtung zu experimentieren, den Wohnraum neu zu gestalten. Schon als Kind hatte sie daran große Freude. Der Opa war Schreiner, sagt sie, die Mutter vernarrt in schmückende Deko. Heute verdient Ute Wagner mit ihrer Leidenschaft ihren Lebensunterhalt. Als gelernte Interior Designerin macht sie seit gut sechs Jahren unter dem Label Raumwerk aus Wohnräumen Wohlfühlräume. Aus aktuellem Anlass auch mal per Ferndiagnose. „Die Menschen schicken mir Fotos und den Grundriss. Im Idealfall werde ich via Videotelefonie durch die Räumlichkeiten geführt“, sagt Ute Wagner. Erschwerte Arbeitsbedingungen für jemanden, der eigentlich großen Wert auf das Bauchgefühl legt. Normalerweise achte sie bereits beim Betreten darauf, wie Räume wirken. Ihr geübtes Auge erkennt dann meist schnell, wo genau der Schuh drückt und was man dagegen tun kann.

Raumgefühl: Bei der Beratung steht der persönliche Geschmack im Vordergrund.

Ebenso wichtig wie der räumliche Eindruck sei das Menschliche, sagt Ute Wagner: „Ich versuche, die Menschen kennenzulernen, um besser abschätzen zu können, was passt und was nicht.“ Die Einrichtungsexpertin strebt danach, ein authentisches Wohnumfeld zu schaffen. Was bringt es, den neuesten Trends hinterherzujagen, wenn die Bewohner sich letztlich nicht damit wohlfühlen? Und doch gibt es einen Trend, der sich höchstwahrscheinlich auch langfristig durchsetzt: Nachhaltigkeit. „Gerade die natürlichen Materialien wie Holz oder seit etwa zwei Jahren auch Marmor sind sehr beliebt. Wenn Möbel und Accessoires dann noch nachhaltig produziert sind, hat man ein gutes Gewissen. Aber auch die Haptik spielt eine große Rolle. Flauschige oder seidige Stoffe vermitteln schon beim Anfassen ein gutes Gefühl.“

Raumfüllend

Neben der Arbeit als Interior Designerin für Privatpersonen gestaltet Wagner auch leerstehende Räume. Home Staging nennt sich diese Art der Innenausstattung, bei der zu vermietende oder zu verkaufende Immobilien temporär mit wenigen Möbeln und Wohn-Accessoires bestückt werden. „Ein komplett leerer Raum wirkt kleiner als einer, der leicht möbliert ist. Interessenten können sich dann oft nicht vorstellen, wie ein Raum fertig eingerichtet aussieht. Ob zum Beispiel das eigene Bett oder ein Schrank hier oder dort hin passt“, erklärt Ute Wagner. Zur Ausstattung von solchen Räumen hat die Designerin ein eigenes Lager mit entsprechenden Stücken. Besonders skurril sind speziell für diesen Zweck angefertigte Küchen aus Pappe oder aufblasbare Betten und Sofagarnituren.

Kann das weg?

Wo Innenräume neu gestaltet und Möbel umgeräumt werden, da sollte man sich am besten auch gleich von überflüssigem Ballast befreien. Auch dabei kann Ute Wagner helfen. Sich von Dingen zu trennen, die man möglicherweise schon viele Jahre besitzt, kann nämlich ganz schön schwer sein. Die populäre japanische Aufräumexpertin Marie Kondõ hat für diesen Zweck eine radikale Methode entwickelt, die seit einigen Jahren die Runde macht: Man soll jedes einzelne Teil in der Wohnung in die Hand nehmen und sich selbst die Frage stellen „Macht es mich glücklich?“ Ist die Antwort Nein, dann muss es verschwinden. Die Idee dahinter: Wer nur von Dingen umgeben ist, die er liebt, der kann nicht traurig sein. Ganz so radikal wie bei Kondõs sogenannter KonMari-Methode geht Ute Wagner nicht vor, als grober Anhaltspunkt tauge dieser Ansatz aber durchaus.

Nicht selten ist bei ihrer Arbeit Fingerspitzengefühl und auch Überzeugungsarbeit gefragt. Ein Beispiel: Vor einigen Jahren half sie einem Pärchen bei der Umgestaltung der Wohnung. Das Problem: Beide hatten diverse Möbel und Erinnerungsstücke aus alten Beziehungen in den neuen Hausstand mitgebracht. Zu viel für die gemeinsame Wohnung. Das Aussortieren gestaltete sich schwierig und führte zu so manchem Streit. „Das war beinahe eine therapeutische Beratung“, sagt Wagner und lacht. Der Aufwand habe sich aber gelohnt. Nach langen Diskussionen über die zu behaltenden Gegenstände und erfolgreicher Umgestaltung des Wohnraums war das Paar sicht- und spürbar glücklicher. Heute pflegt die Designerin sogar eine freundschaftliche Beziehung zu dem ehemaligen „Problemfall“. Nach der ersten Beratung wurde Ute Wagner bei schweren Entscheidungen in Wohnungsfragen immer wieder hinzugezogen. Kurze Zeit später hätte das Pärchen sogar den Gang zum Trau­altar gewagt, berichtet Wagner. Was für ein Happy End.

„Gerade die natürlichen Materialien wie Holz oder seit etwa zwei Jahren auch Marmor sind sehr beliebt.“

Das echte Wohlfühlwohngefühl stellt sich meist erst ein, wenn auch die kleinen Details stimmen. So können beispielsweise geschickt platzierte Pflanzen für die tägliche Dosis Naturgrün im Wohnraum sorgen. Man dürfe es natürlich nicht übertreiben, so Wagner: „Alibi-Pflanzen, die einfach überall in der Wohnung verteilt werden, sind verboten.“ Wie so oft gilt auch dabei: Weniger ist mehr. Außergewöhnliche Stücke – wie Designermöbel oder der antike Schrank von der Oma – brauchen Freiräume, um richtig zur Geltung zu kommen. Viele Wohnungen leiden diesbezüglich an einem Überangebot an Möbeln. Das Gegenteil, ein absolut cleaner und eher leerer Raum, sehe allerdings auch nur auf den ersten Blick schön aus. Als gemütlicher Wohnraum tauge er aber für die meisten Menschen nicht. „Wir brauchen ein gewisses Maß an Reizen, um uns wohlzufühlen. Es darf nicht überladen aber auch nicht zu monoton sein.“ Ein weiterer typischer Fehler, der gerne gemacht wird: zu hoch aufgehängte Bilder. Außerdem, so Wagner, helfen uns persönliche Gegenstände, Möbel und andere Accessoires, zu denen wir einen persönlichen Bezug haben, dass sich ein Wohlgefühl einstellt.

Nur so werde der Wohnraum zu „unserer“ Wohnung. Allen Regeln zum Trotz zähle am Ende einfach der ganz individuelle Geschmack. Oder wie Ute Wagner es ausdrückt: „Jeder tickt anders.“

Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Bettina Osswald