wsw.info: Ostersbaum

Quartier voller Stufen

In dieser Treppenfolge stellen wir einige Anlagen im Elberfelder Wohnquartier Ostersbaum vor. Mit Blick auf künstlerische Gestaltung haben viele von ihnen eine Geschichte. Und vielleicht ja auch eine Zukunft.

Wer an Treppen denkt, hebt oder senkt fast automatisch das innere Auge. Stufen symbolisieren Auf- und Abstieg. Gerade im Tal der Wupper brauchen die Menschen Verbindungen zwischen oben und unten, deshalb gibt es hier mehr als 500 öffentliche Treppen. Zweckmäßig. Doch neben einem prak­tischen Blick hatten und haben Menschen auch immer wieder eine künstlerische, kreativ-gestaltende Sicht auf die Skalen: Sie lassen Raum für Geschichten, Rätsel, Gefühle, Sinneswahrnehmungen, führen sinnbildlich gar in andere Bewusstseinszustände. Gerade die zahlreichen Treppenanlagen im Elberfelder Quartier Ostersbaum machen das deutlich. Sie verbinden den Platz der Republik mit der City und den Nachbarquartieren. 2009 wurde die Treppenkunst, bestehend aus mehreren Projekten, als Gesamtkonzept vier Mal NRW- und landesweit ausgezeichnet, unter anderem mit dem Robert Jungk Preis als „Zukunftsprojekt“. Was sieht man davon heute noch?

Über die Holsteiner Treppe, deren 114 Stufen der Künstler Hort Gläsker 2006 im Rahmen der Kunstaktion „7 Treppen“ je eine eigene Farbe und eine als Wort geschriebene Emotion verlieh, haben wir schon berichtet. Die 1900 errichtete Anlage zwischen Gathe und Schleswiger Straße ist heute die am besten erhaltene der Reihe – ihr Anstrich wurde 2008 und 2016 erneuert.

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öffentliche Treppen mit ins­gesamt 918 Stufen zählt das Nachbarschaftsheim Wuppertal im Quartier Ostersbaum.

 

Unterwegs

Den Weg von der Schleswiger zur Flensburger Straße setzt die Flensburger Treppe auf 60 Stufen fort. Auch wenn Tatzu Nishis Installation von 2006 aus OSB-Platten, Farbe, Leuchtstoffröhren und Türen längst abgebaut ist, verweilt der Passant dank eines Nachfolgeprojekts länger. Lesend: Hat die Wahrheit lange Beine? Warum macht Fußball Spaß? Wie riecht das Weltall? Ungezählte Fragen rahmen rote Scherenschnitte aus Mensch und Tier – für die Ewigkeit festgehalten in höchst unterschiedlichen Aktivitäten – von oben und unten ein. „Unterwegs“ nannte die Ostersbaumer Künstlerin Dietmut Schilling das Projekt, das unter Partizipation von 400 Anwohnern und gefördert mit Landesmitteln des Programms „Soziale Stadt“ 2008 realisiert wurde.

Zurück zu „7 Treppen“ ins Jahr 2006: Ottmar Hörls „Weltanschauungsmodell 1“ wurde 14 Tage nach Eröffnung wieder abgebaut, die Installation war nahezu unmittelbar Raub und Zerstörung zum Opfer gefallen. 170 identische männliche Figuren, durch ein Fernglas blickend, schwarz oder weiß gefärbt, hatte der Künstler in Kleingruppen auf die Kunststeinstufen der Wülfingtreppe zwischen Schleswiger und Flensburger Straße gesetzt. Heute prägen das 1896 errichtete Bauwerk nur noch Graffiti-Schmierereien an den Wänden. Ebenfalls temporär machte Künstlerin Helga Griffiths die Engelnbergtreppe mit einer die Sinneswahrnehmung adressierenden Installation aus elektronisch gesteuerten Sensoren, Reflektoren und Lautsprechern zur „Ascending Scale“ (Aufsteigende Tonleiter). Passanten, Vögel und Laub ließen die 72 Stufen erklingen. Heute ist auf der 1910 erbauten Anlage nur noch das Zusammentreffen von Schuhsohlen und Beton zu vernehmen, das Rascheln von Kleidung, hier und da Schnaufen, Konversation. Metallkugeln unter dem schmiedeeisernen Handlauf, farblich teils undefinierbar, erinnern spontan an den Froschkönig.

Fragmente

Auch der Pavillon an der Paradestraße, an dem Paul Schwer unter dem Titel „Baozi für Wuppertal“ ein mit roten Kunststoffplanen geschmücktes Baugerüst installierte, liegt im Vergleich zu 2006 nun fast nackt da. Einen ähnlichen Eindruck machen die nur acht Stufen am Kosakenweg. Dort hatten Maik und Dirk Löbbert aus Holz, Zink und Faserzement gefertigte Wandfragmente aufgestellt. Ihr „Relief“ verschmolz chamäleonartig mit der Umgebung. Nichts blieb zurück. Lediglich an dem mit Kopfstein gepflasterten Weg Richtung Platz der Republik befinden sich drei Zerrspiegel und in den Boden eingelassene Lichtstäbe. Aber: Eine Hauswand schmückt eine umfangreiche Dschungelmalerei. Ein farbenfroher Hingucker.

1999

initiierten Architekten, Künstler und Bewohner eine Ideenwerkstatt mit dem Titel „Inszenierung der Treppen“. Das Ziel war es, die Bauten in Gestalt und Funktion zu optimieren. Zu den ersten Verschönerungs-Events gehört die Aktion „Lichterwege“, die 2020 ihren
21. Geburtstag beging.

Eine ebenso temporäre Installation war Babak Saeds Strafarbeit für Wuppertal aus hellgrünem und purpurnem Graffiti. Auf zwölf mal zehn Metern Fläche reihten sich an der Hauswand zur Treppe an der Husumer Straße Großbuchstaben ohne Zwischenräume aneinander und formten in vielen Überlagerungen immer denselben Satz: Fremde Wände darf ich nicht beschmieren. Etwas, das angesichts des aktuellen Gewirrs aus Worten und Abkürzungen offensichtlich nicht zu jedem durchgedrungen ist.

Auf dem Sprung

Auch die Preßburger Treppe ist, wie so viele weitere im Stadtgebiet, nicht von derartigen Verunstaltungen verschont geblieben. Was sie auszeichnet, ist neben einer Erklärtafel des Bergischen Geschichtsvereins mit spannenden Daten und Fakten aber etwas anderes: Wer die 133 Stufen zwischen Flensburger Straße und Gathe auf- und absteigt, beobachtet an die Wände gemalte rote Menschen, die an plastisch hervorgehobenen Hochsprungstäben aus bunten Kacheln turnen und mit ihnen hantieren. Und wieder ist die sprichwörtliche Handschrift von Künstlerin Dietmut Schilling auszumachen: Sie gestaltete den einstigen Angst­raum 2011 gemeinsam mit Stadtteilbewohnern und Schülern der Gesamtschule Else-Lasker-Schüler um.

Das Treppenkunstprojekt Jump! wurde ebenfalls gefördert vom Land NRW im Rahmen des Programms Soziale Stadt. Auf halber Höhe, wo sich auch der Ostersbaumer Honiggarten befindet, werden die Hochsprungstäbe dreidimensional – meterhoch ragen sie in alle Richtungen aus dem Boden in den Himmel. Was mit den Stäben überwunden werden soll, verraten die Kacheln: Angst vor Veränderung ist etwa in schwarzen Großbuchstaben zu lesen. Übertriebener Fleiß, Verbissenheit und Traurigkeit. Das Kunstwerk vermittelt aber gleichzeitig den Blick nach vorn, denn auch, was erreicht werden soll, steht dort verewigt: Be who you are and say what you feel ist ein Wunsch. Sei nicht faul ein anderer. Wieder ein anderer: Mehr Ehrgeiz. Vielleicht wurde letzterer ja sogar mit Blick auf die Treppen im Quartier geschrieben: auf dass sie auch in Zukunft das Quartier schöner machen.

Text: Tonia Sorrentino
Fotos: Stefanie vom Stein