wsw.info: Schwebebahn

Post aus dem Wuppertal

Von springenden Elefanten und Fahrten mitten durch ein Haus: Seit mehr als 120 Jahren dreht die Schwebebahn in Wuppertal ihre Runden – Postkarten zeichnen ihre Geschichte auf.

Keine Angst vor großen Namen. „Wuppertal ohne Schwebebahn – das ist wie Paris ohne den Eiffelturm.“ Der damalige Oberbürgermeister Andreas Mucke brachte den Satz im August 2019. Frühmorgens, just an jenem Tag, als sich das Aushängeschild seiner Stadt nach 256 Tagen Zwangspause wieder in den Dienst zurückmeldete. Der eine oder andere wird den Vergleich mit der französischen Hauptstadt vielleicht etwas vermessen finden. Doch irgendwie passt er. Die Schwebebahn ist halt einmalig. Wer noch nicht „schweben“ durfte – wobei sie ja strenggenommen hängt – sollte es einmal tun.

Das Wahrzeichen der Metropole im Bergischen Land hat in seiner über 120-jährigen Historie die eine oder andere Anekdote produziert. Welches noch existierende Verkehrsmittel kann zum Beispiel von sich behaupten, dass mal ein deutscher Kaiser mit ihm gereist ist? Darf sich rühmen, dass das Museum of Modern Art in New York Filmaufnahmen einer frühen Fahrt in seine Sammlung aufgenommen hat? Oder dass ein tierischer, etwa 200 Kilo­gramm schwerer Passagier bei voller Fahrt Reißaus nahm? Wolf Birke kennt natürlich alle diese Geschichten. Der 70-Jährige ist Wuppertaler durch und durch, Fotograf und Postkartensammler. Und bei beiden Leidenschaften spielt die Schwebebahn eine große Rolle.

Immer wieder Schwebebahn

Wie oft er selbst die „Suspension Railway“, wie sie auf Englisch heißt, auf Film oder auf die Speicherkarte bannte, kann er nicht mal annähernd schätzen. Und eine Postkarte ohne die typischen Gerüste und Wagen im Bild? Kaum denkbar. Mehrere Verlage, die Postkarten herausgaben, gab es früher in den Städten Elberfeld und Barmen, die sich 1929 zu Wuppertal zusammenschlossen. Und bis dahin war die Schwebebahn schon eins der verbindenden Elemente. „Und ich tippe mal, auch bei den moderneren Karten aus Wuppertal ist die Schwebebahn bei mehr als 90 Prozent irgendwie Teil des Motivs“, sagt Birke.

Sammler Wolf Birke hat ein Faible für Stadtgeschichte

„Postkarten waren zum Teil die WhatsApp-Nachrichten der damaligen Zeit“, erklärt er. Nicht nur die Vorder-, sondern auch der Text auf der Rückseite interessiere ihn. „Es gibt Karten, da schreibt jemand aus Köln nach Wuppertal: ,Ich komme morgen Mittag mit dem Zug‘“,so der Sammler. „Im festen Vertrauen in die Post, dass die Karte am nächsten Tag auch wirklich morgens beim Empfänger ist.“ Heutzutage wäre er da nicht mehr ganz so sicher, schmunzelt Birke.

Als Fotograf schlägt sein Herz aber natürlich vor allem für das Motiv. „Ich bewundere einfach die Fotoqualität von damals.“ Auf einer Karte aus den Anfangsjahren ist zum Beispiel der Bahnhof Ohligsmühle abgebildet. Schwarze Striche, im Original nur Millimeter groß, zeigen in der Vergrößerung einzelne Menschen. „Gestochen scharf“, schwärmt Birke. Später werde es deutlich körniger. „Im Vergleich zu den heutigen ,Allerweltsmotiven‘ sind die fotografisch hochwertigen Karten aus alter Zeit einfach historisch wertvolle Dokumente, die Ansichten von Technik, Städtebau und Architektur überliefern, die sonst längst verloren sind“, beschreibt er seine Intention fürs Sammeln. Damals, das weiß er aus seiner Kindheit, wurden Postkarten noch viel mehr geschätzt. „Heutzutage schreibt doch kaum noch einer.“

Eine von Wolf Birkes Lieblingskarten: Else und Ilse, vermutlich Mutter und Tochter, 1941 in der Schwebebahn verewigt.

Eine seiner Lieblingskarten zeigt ein eher persönliches Motiv – und ist vermutlich ein Unikat. „Else und Ilse“, wahrscheinlich Mutter und Tochter, haben sich 1941 in einem Schwebebahn-Wagen ablichten lassen. Aus der Fotografie wurde im Studio dann eine Postkarte. „So richtig mit Adressfeld auf der Rückseite.“

Motive zum Staunen

Auffallend bei den ganz frühen Exemplaren ist die Kombination der verschiedenen Verkehrsmittel in Wuppertal. Die – mittlerweile längst abgeschaffte – Straßenbahn, Eisenbahn und Schwebe­bahn am besten in einem Motiv. Nicht selten wurde dabei getrickst, sprich retuschiert, um dieses Trio zu vereinen, weiß Birke. Zu groß sei einfach die Technikbegeisterung gewesen.

Ein Ziel bei vielen frühen Postkarten: Möglichst viele verschiedene Verkehrsmittel zu kombinieren – auch wenn dabei kräftig geschummelt wurde.

Die Krönung hat er auch in seiner Sammlung. Zur Straßenbahn und Schwebebahn, die vermutlich „echt“ sind, gesellen sich eine Spielzeug­eisenbahn und als i-Tüpfelchen noch ein Zeppelin sowie ein Ausflugsschiff auf der Wupper – das beim durchschnittlichen Wasserstand des Flüsschens sicher Probleme bekommen hätte. „Reine Fantasie“, meint Birke amüsiert. Und wo Luftschiffe involviert seien, „kann man heute auf jeden Fall von Fakes ausgehen“. Fälschungen also, wie übrigens auch das vermutlich berühmteste Schwebebahn-Motiv auf einer Postkarte: Tuffi 1950 im freien Fall in die Wupper. Der Haken allerdings an der actionlastigen Szene auf der Karte: Da sich sämtliche Journalisten im Waggon befanden, gibt es gar kein echtes Foto vom Sprung. Eine Montage musste helfen. Mal wieder.

Das vermutlich berühmteste Postkartenmotiv mit der Schwebebahn – doch Tuffi, die hier in die Wupper springt, ist nur „Fake“. Weil alle Fotografen in der Schwebebahn saßen, gibt es kein echtes Foto der Aktion.

Für Birke erzählen die Postkarten aber nicht nur Geschichten, sondern vor allem Stadtgeschichte. Alte Werbung ist auf den Wagen zu sehen, zum Beispiel von Wicküler-Bier. Die Schwebebahn passiert auf den Karten längst aus dem Bewusstsein der Wuppertaler verschwundene Gebäude und Plätze.

Wuppertal im Wandel

Für ein Fotoprojekt hat er Ansichten gegenübergestellt, die den Wandel verdeutlichen. Zum Beispiel von der Passage vorbei am Zoo-Stadion, heute Heimat des Wuppertaler SV. Auf der alten Ansichtskarte ist die Kehre zu sehen – die sich später als unnötig erwies und abgebaut wurde. Oder der Streckenabschnitt durchs Vohwinkeler Zentrum: Im Zuge der Erneuerung Anfang der 2000er Jahre wurde dort das Schwebebahngerüst erhöht, was in der Gegenüberstellung der Ansichten gut zu erkennen ist. Wobei der Hingucker der alten Karte natürlich das pittoreske Uhrtürmchen mit der weißen „Persil-Dame“ ist.

Die Kaiserstraße mit dem pittoresken Uhrtürmchen samt der „Weißen Dame“ von Persil.

Die gleiche Szenerie auf einem aktuellen Foto – im Zuge der Erneuerung war das Schwebebahngerüst erhöht worden.

Und auch die Wagen sind längst Geschichte. Die aktuelle hellblaue Reihe ist mittlerweile die vierte Generation. Ab 2015 löste sie nach und nach die orange-blaue Version der Bahn ab, die seit den 1970er Jahren das Stadtbild prägte. Die Letzte ihrer Art drehte schließlich 2019 eine Ehrenrunde. Sie zierte mehr als 40 Jahre vor allem die von Birke eher verschmähten Ansichtskarten – aber auch sogenannte Bildpostkarten der Deutschen Bundespost. Zum Beispiel, wie sie über Menschenmassen beim Vohwinkeler Flohmarkt schwebt, dem laut Guinness-Buch der Rekorde zeitweise größten Ein-Tages-Straßentrödel der Welt.

Ein Teil der alten Modelle hat dafür anderweitig überlebt. Zwar nicht im Betrieb, dafür aber zum Beispiel in Verkehrsmuseen. Ein Exemplar schaffte es sogar ganz nach oben, aus dem Bergischen Land in die wirklichen Berge. Auf dem Katschberg in Österreich diente er jahrelang einer Skischule als Pausenraum. Ein Rückkehrer hat sich auch schon angekündigt: Der neue Eigentümer des Wuppertaler Hauptbahnhofs will einen Wagen der Baureihe 50 zwischen den Gebäudeteilen drapieren.

Und auch, wenn der eine oder andere mal schimpft: Die Wuppertaler­innen und Wuppertaler können einfach nicht ohne ihr Wahr­zeichen, ist die Schwebebahn doch vor allem im Berufsverkehr und für 80 000 Menschen täglich, über den Staus schwebend, unverzichtbar. Wup­pertal ohne, das ist einfach wie, na, Sie wissen schon …

Text: Manuel Praest
Fotos: Wolf Birke