Kultur: Interview

Runter, links, rechts, rauf

Julia Jones ist seit 2016 Wuppertals Generalmusikdirektorin und somit Chefdirigentin des Sinfonieorchesters und musikalische Leiterin der Oper. Im Interview erklärt sie, was es mit dem Dirigieren überhaupt auf sich hat.

Der Große Saal in der Historischen Stadthalle ist gut gefüllt, 80 Musiker nehmen auf der Bühne Platz und richten sich ein. Die Notenblätter werden aufgeschlagen, das Instrument gestimmt. Dann erscheint die Dirigentin. Applaus! Sie gibt dem Konzertmeister, dem Stimmführer der ersten Geigen, die Hand und neigt sich dem Publikum zu. Dann folgt ein Moment der konzentrierten Stille und endlich beginnt die Dirigentin, mittels einer magisch anmutenden Choreografie ihrer Arme, den riesigen Orchesterapparat in Fahrt zu bringen – die Musik erfüllt den Raum. Die Dirigentin ist beim Sinfoniekonzert das, was im Film der Regisseur ist, sie bringt die einzelnen Episoden zu einem stimmigen Ganzen zusammen, allerdings darf bei Martin Scorsese oder Tom Tykwer niemand zusehen. Einen Film anschauen ist also eher so, wie eine CD anhören. Wenn wir in der Historischen Stadthalle Wuppertal ins Konzert gehen, sind wir dabei, sehen, wie mal anmutig leicht, mal deutlich bestimmend die Bewegungen des Dirigats den Weg einer Sinfonie weisen. Es gibt kaum einen zweiten künstlerischen Beruf, der in der Hierarchie so klar definiert ist und dessen Bedeutung fast ein Mysterium darstellt. Jeder im Saal sieht, was unsere Dirigentin tut, aber wie erklärt sich die ungeheure Wirkung ihres Handwerks, des Dirigierens? Weil wir das einmal genau wissen wollten, haben wir uns an einem Freitagmittag nach der Orchesterprobe mit Julia Jones getroffen. Seit dem Sommer 2016 ist sie Wuppertals Generalmusikdirektorin, also Chefdirigentin des Sinfonieorchesters und musikalische Leiterin der Oper.

Was, Frau Jones, würde passieren, wenn das Orchester bei einem spätromantischen Werk ohne Dirigenten auskommen müsste?
Julia Jones: Also, wenn es ein gutes Orchester ist und mitten in einer Bruckner-Sinfonie fällt der Dirigent tot um – hoffen wir, dass es nicht passiert, ist aber schon mal vorgekommen –, dann übernimmt der Konzertmeister und leitet das Konzert vom ersten Pult aus zu Ende. Bei kleiner besetzten Stücken, wie zu Zeiten Mozarts und Haydns, ging es damals auch ohne Dirigent. Bei Schumann und Brahms würde es vielleicht auch noch ohne gehen, aber je größer die Stücke besetzt sind, desto schwieriger wird es, da ist es die Aufgabe des Dirigenten, die Musiker zu koordinieren und alle beieinander zu halten.

Woher wissen die Musiker, was die Dirigierbewegungen bedeuten?
Das lernen die im Studium oder sogar noch früher, im Schulorchester. Es ist aber auch gar nicht so schwer, der Dirigent schlägt eben den Takt. Ist es ein Viervierteltakt, geht der (rechte) Arm runter – links – rechts – rauf, beim Dreivierteltakt geht es runter – rechts – rauf. Und damit alle nach dieser Schlagbewegung zusammenspielen, sehen die Musiker den Taktstock, quasi der „extended“ Arm des Dirigenten.

Klassische Musik für alle: Generalmusikdirektorin und Dirigentin Julia Jones bei der Arbeit

Schaut man mehreren Dirigenten bei der Arbeit zu, fällt sofort auf, dass der „Schlagstil“ extrem unterschiedlich ist. Wie erklärt sich das?
Das Schlagen der Takte sind Grundsätze, die bei jedem Dirigenten gleich sind, aber jeder hat einen anderen Körper. Wenn Sie Menschen beim Tanzen zusehen, stellen Sie fest, dass es bei jedem anders aussieht, auch wenn alle die gleiche Figur tanzen. Manche Menschen haben lange Arme, andere kurze und jeder hat eine eigene Körpersprache.

Verstehen alle Musiker Ihren Stil vom ersten Moment an, oder gibt es zwischen Dirigentin und Orchester so etwas wie eine Eingewöhnungsphase?
Ja, absolut, auch das ist genau so wie bei einem Tanzpartner. Auch da müssen Sie sich zuerst daran gewöhnen. Ich achte auf Folgendes: Wie nehmen die Musiker meinen Schlag ab und wie interpretieren die meinen Schlag? Und ich höre genau zu und überlege, wo setze ich jeden Schlag ein, jedes Orchester ist anders, manche spielen genau auf den Schlag, manche spielen ein bisschen hinterher oder sogar sehr stark hinterher, da gibt es verschiedene Traditionen und es ist notwendig sich einzufühlen.

Müssen Sie manchmal dem Orchester erklären, weshalb Sie so und nicht anders schlagen?
Nein, eigentlich ist das sofort klar, aber man muss als Dirigent wissen – und viele wissen es nicht –, woran es liegt, wenn es mal nicht klappt. Es liegt nämlich nicht unbedingt an den Musikern, sondern ich muss mich dann fragen: Habe ich das klar genug gezeigt, muss ich da vielleicht noch einen Auftakt dazugeben?

Beim Spielen einer Solopartie will vermutlich jeder glänzen und zeigen, wie sie/er die Stelle gerne spielt. Wieviel Individualität können Sie dem Solisten gestatten, beziehungsweise wo hört die Freiheit auf?
Als Dirigentin schlage ich heiße Luft, ich schlage keinen Ton, spielen müssen all die Geigen, Klarinetten, Trompeten im Orchester. Aber ich muss natürlich ein Konzept haben, wie schnell, wie langsam und so weiter. Dann bieten die einzelnen Musiker etwas an und das ist fantastisch, aber es muss alles zusammenpassen. Grund­sätzlich nehme ich als Dirigentin gerne Anregungen an.

Es ist klar, dass die Musiker das Tempo und die Dynamik (Lautstärke) leicht vom Dirigat übernehmen können, aber wie entsteht Spannung, Emotionalität, Dramatik in der Musik. Lässt sich das auch durch technische Aspekte des Dirigierens erklären?
Entschuldigen Sie, aber es gibt keinen Menschen auf der Welt, der Musiker geworden ist, der nicht gleich die Emotionalität und die Seele der Musik spürt. Die Frage ist überflüssig, ich dirigiere ja keine Automaten oder Roboter. Aus der Musik, den Melodien wird es klar für uns, dem Orchester und mir.

An welchen Orten, außer der Historischen Stadthalle, sind Sie besonders gern in Wuppertal?
Ach, so ziemlich überall, ich fahre zum Beispiel sehr gerne Schwebebahn, für mich immer die beste und kürzeste Möglichkeit, um ins Opernhaus zu kommen. Wuppertal ist ein Ort, der durch seine vielen Kontraste so herrlich ist. Gerade erst war ich im Botanischen Garten und danach geht’s durch ganz einfache Viertel, diese unterschiedlichen Orte und Kontraste machen Wuppertal aus.

Was erhoffen Sie sich von Ihrer zukünftigen Arbeit?
Klassische Musik muss lebendig bleiben und wir wollen möglichst vielen Menschen in Wuppertal zeigen, dass klassische Musik für jeden da ist, jeden erreichen kann und ganz bestimmt nicht nur für Spezialisten ist.

Text: Wolfgang Schmidtke