wsw.info: Ikonenmalerei

Heiliges Hobby

Der Wuppertaler Helmut Schürmann fertigt seit seiner Jugend traditionelle Ikonen an. Das erfordert ein großes Maß an Leidenschaft und Perfektionismus. Vielleicht deshalb gibt es heute nur noch wenige, die dieses Handwerk ausüben.

Eine kleine Holzplatte, etwas Jutestoff, Bologneser Gipskreide und Leim. Damit fängt alles an, fing es schon immer. Mit diesen Materialien wird der traditionelle Maluntergrund für eine echte Ikone vorbereitet. Und mit Ikone sind nicht Michael Jackson, John Lennon oder Beyoncé gemeint, sondern Jesus, Maria oder Johannes. Der Begriff Ikone geht auf das altgriechische Wort für Bild zurück. Eine Ikone zeigt immer einen Heiligen beziehungsweise eine Heilige und ist zeitgleich selbst ein sakraler Gegenstand, der für gläubige Menschen einen hohen Stellenwert bei der Ausübung ihrer Religion hat.

Das wohl auffälligste Merkmal in der Ikonenmalerei ist der glänzende, meist goldene Heiligenschein, der die Köpfe der dargestellten Personen umrandet. Manchmal wird dieser auch als Nimbus oder Gloriole bezeichnet. Damals wie heute wird dieser meist in echtem Blattgold ausgeführt. Die Vergoldung ist ein traditionelles – und vor allem kniffeliges – Handwerk, das heute nur noch wenige Menschen beherrschen. Einer davon ist der Wuppertaler Ikonenmaler Helmut Schürmann. 

Streng nach Vorgabe

In seinem Atelier in Wuppertal-Unterbarmen fertigt der 72-Jährige Ikonen an, restauriert und stellt aus. Vielleicht einmal im Monat verkauft er eines seiner Bilder, das reicht dann allerdings gerade für die Mietkosten des Ateliers. Nicht schlimm, findet Schürmann, die Ikonenmalerei ist sein Hobby, eine Nebentätigkeit, die ihn allerdings begleitet, seit er 20 Jahre alt ist. „Mich haben schon viele für bekloppt erklärt“, sagt der Rentner. Mit seinen Arbeiten reiht sich Schürmann in einer langen Reihe der sakralen Malerei ein. „Jede meiner Ikonen ist ein Original“, betont er. Was damit gemeint ist: Die verschiedenen Motive sind streng vorgegeben und werden im Grunde genommen seit dem ersten Entwurf nicht mehr verändert. Lediglich bei den Nuancen der Farbgebung und der handwerklichen Ausführung gibt es künstlerische Freiheiten. 

„Mich haben schon viele für bekloppt erklärt.“ Helmut Schürmann

Gelernt hat er eigentlich einen anderen Beruf. Als Maler- und Lackiermeister war er lange Jahre selbstständig, hat zahlreiche Restaurierungsarbeiten gemacht. Die letzten zehn Jahre seines Arbeitslebens widmete er sich in der Historischen Stadthalle der Beseitigung von Schäden. „Nach den Veranstaltungen musste man oft kleinere Arbeiten ausführen“, so Schürmann. Auch heute noch kümmert er sich um den Erhalt von alten, schützenswerten Dingen. Ein aktuelles Projekt sind die dunkelgrünen Fensterläden, die zurzeit sorgfältig aufgearbeitet an der Wand lehnen und nur darauf warten, endlich wieder montiert zu werden. Sie gehören zu dem denkmalgeschützten Haus, in dem auch sein Atelier beheimatet ist. Auch alten Spieluhren, Stühlen und anderen Möbeln haucht Schürmann neues Leben ein. Kurz gesagt, Schürmann restauriert „alles außer Maschinen.“

Nimbus

Der Heiligenschein wird seit dem 2. Jahrhundert in der christlichen Kunst verwendet. Zunächst war dieser nur Jesus Christus und den Päpsten vorbehalten, dann dem dreifaltigen Gott und den Engeln, später der Gottesmutter Maria und letztlich allen Heiligen.

Schutzblech

Eine Signatur sucht man auf den Bildern von Helmut Schürmann übrigens vergeblich. Das hat einen Grund. Nach alter Tradition darf der Name des Malers oder der Malerin nicht auf die Ikone geschrieben werden, wohl aber Hinweise zur abgebildeten Person. Für Orthodoxe Christen sind Ikonen weit mehr als Heiligenbilder. Die dargestellten Heiligen wie Christus oder die Gottesmutter Maria sind mittels der Ikonen gegenwärtig. So wundert es auch nicht, dass ein Großteil der Kunden, die Schürmanns Atelier an der Friedrich-Engels-Allee aufsuchen, aus den osteuropäischen Ländern stammen. Er selbst ist zwar auch katholisch, nicht aber orthodox.

Kölner Leim

Kölner Leim ist ein hellgelber, klarer Leim, der aus dem Bindegewebe von Tierhäuten her­gestellt wird. Der Leim wird als Binde­mittel für Kreidegründe, Polierfarben, Klebstoff für Papier, Holz etc. verwendet. 

Helmut Schürmann schafft nicht nur eigene Ikonen, sondern er restauriert auch alte Schätze, die er zum Beispiel auf Flohmärkten findet. Sein ältestes Werk ist eine Christus-Darstellung aus dem 16. Jahrhundert. Entdeckt hat er es vor etwa 30 Jahren auf dem Vohwinkeler Flohmarkt. Der Großteil des Bildes ist mit einem reich verzierten Messingblech verdeckt, das seinerzeit als Schutz diente. „Die Menschen haben damals oft Öllampen vor den Ikonen platziert, damit diese im Dunkeln erstrahlen. Durch die Hitze und den Ruß kam es oft zu Beschädigungen am Bild“, erklärt Schürmann. 

Das Handwerk liegt dem Wuppertaler im Blut. Der Ursprung dafür – insbesondere für die Arbeit mit Holz und Leim – reicht weit in seine Kindheit zurück. „Ich habe meinem Vater nach der Schule oft in der Schreinerei geholfen.“ Weil er noch zu jung für die Arbeit mit Kreissäge und Co. war, durfte er allerdings nur Arbeiten ausführen, die man per Hand erledigen konnte. Seinen handwerklichen Fähigkeiten hat diese Einschränkung letztlich gutgetan. „Ich bin durch und durch Perfektionist“, sagt der Ikonenmaler heute. Das sieht man seinen Bildern an. Insgesamt zehn penibel ausgeführte Arbeitsschritte braucht es, bis eine Ikone fertig ist. Pro Tag kann Schürmann aber nur einen ausführen, danach muss das Bild wieder trocknen. 

Eitempera

Diese seit der Antike verwendete Farbe wird aus Ei, Leinöl, Wasser und Pigmenten hergestellt. Eitempera muss immer frisch zubereitet werden, da sie schnell verdirbt. Einmal durchgetrocknet ist sie besonders Lichtechtheit, aber unflexibel.

Bei jedem Herstellungsschritt, vom Grundieren der Bildtafel über die Vergoldung bis hin zum meisterlichen Pinselstrich, legt Schürmann großen Wert auf Authentizität. So mischt er zum Beispiel seine leuchtenden Temperafarben noch komplett selbst. Ganz klassisch aus wasserverdünntem Eigelb als Bindemittel und einem Pigment. „Ich mache das heute genauso wie die Ikonenmaler vor 1 000 Jahren.“ Diese Einstellung überträgt der Rentner im Übrigen auch auf seinen Alltag. Soll heißen: Einen Internetauftritt oder eine E-Mail-Adresse besitzt er nicht. „Ich bin zu alt für das ganze Digitale“, sagt er.

So ganz ohne eine Zukunftsperspektive geht es dann aber doch nicht. Seit einiger Zeit wird Helmut Schürmann regelmäßig von seinem „Lehrling“ besucht. Es ist ein junger Kunststudent, der die Techniken der Ikonenmalerei von ihm erlernen will.

Text: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp