Freizeit: Igelstation Elberfeld

Ein Herz für Stachel

Verletzt, ausgehungert, ausgesetzt: Über das Jahr verteilt pflegt das Team der Igelstation in Elberfeld zwischen 300 und 400 Igel aus der ganzen Region. Sobald die Tiere fit sind, werden sie wieder ausgewildert.

Vorsichtig fährt Sarah Kirsch mit einem kleinen Kamm durch das gräuliche Fell. Es ist ein wenig verklebt. Das Tier streckt die Füßchen aus, hält ganz still. Als spüre es, dass ihm die 26-Jährige Gutes tut: Seit zehn Wochen ist „Nummer 24“ wegen einer komplexen Infektion auf der Igelstation in Behandlung. Vor der Fellpflege hat die Bundesfreiwillige dem Tier eine reinigende Lösung ins Ohr injiziert. Im Anschluss kommt „Nummer 24“ wieder in die Box. Jeder der aktuell 50 Igel an der Friedrich-Ebert-Straße hat seine eigene. Mit Schlafhäuschen, Futterecke, etwas Auslauf.

Ein aufmerksamer Solinger hatte „Nummer 24“ im Frühsommer in die Auffang- und Krankenstation gebracht. „Der Igel lief tagsüber rege herum, dadurch fiel er auf“, schildert Monika Thomas, Gründerin des Vereins Netzwerk Igel. Schnell stellte sich heraus: Schmerzen hielten das naturgemäß vorwiegend nachtaktive Tier auf Trab. Im geschützten Elberfelder Hinterhof kümmert sich seitdem ein fürsorgliches Team um diesen und alle weiteren Patienten. „Im Sommer versorgen wir zum großen Teil mutterlose Tiere“, sagt Thomas. „Das Risiko ist hoch, bei den derzeitigen Sommertemperaturen zu verdursten. Insgesamt schwindet durch den allgemeinen Insektenrückgang die Nahrung für die Igel – als Folge geben Muttertiere zum Beispiel weniger Milch.“ Den zweiten großen Anteil machen Igel mit Wunden, Knochenbrüchen und inneren Verletzungen aus. „Saisonbedingt passiert das vor allem durch Gartengeräte oder Bisse anderer Tiere.“ Ab und an setzten Menschen bis dato daheim gehaltene exotische Igel aus. „Viele können den besonderen Bedürfnissen leider nicht gerecht werden und wollen sie dann auf diese verantwortungslose Weise loswerden“, sagt Thomas.

In guten Händen: Gründerin Monika Thomas (Mi.) mit zwei Ehrenamtlichen und drei Igeln (Foto: WSW)

Stadt- und Landigel
Versiegelung natürlicher Flächen und Einsatz von Pestiziden nehmen Nützlingen den Lebensraum. Das treibt zahlreiche „Kulturfolger“ aus dem Grünen in die Stadt. „Wir unterscheiden zwischen Stadt- und Landigeln“, sagt Thomas, die den Verein 2005 gründete. Zwischen 1996 und 2005 praktizierte sie als Tierheilpraktikerin in ihrer Cronenberger Gemeinschaftspraxis. „Da hatten wir die ersten 40 Igel.“ Bis 2012 sei die Unterhaltung der Igelstation finanziell schwierig gewesen, auch heute noch seien die Tierfreunde auf Unterstützung angewiesen. Vor allem derzeit: Das Unwetter Ende Mai hatte die Räume unter Wasser gesetzt. Im laufenden Betrieb sei es schwer, den Ursprungszustand wiederherzustellen, sagt Thomas.

Unterstützung in Igelpflege und Organisation vor Ort erhält sie derzeit von vier Bundesfreiwilligen, einer Praktikantin und zehn Ehrenamtlichen. Letztere kommen in den Abendstunden zum Füttern, fett- und zuckerarmes Katzenfutter, ab und zu Rührei, gekochtes Rinderhack- oder Hühnchenfleisch. „Fast jeder Igel hat seinen Speiseplan“, sagt Sarah Kirsch. Sie ist seit fast einem Jahr dabei, säubert die Igel, behandelt ihre Wunden, schneidet ihnen die Krallen. „Es ist toll, zu sehen, wenn es den Igeln besser geht. Ihr Wohlergehen liegt uns sehr am Herzen.“

„Es ist toll, zu sehen, wenn es den Igeln besser geht. Ihr Wohlergehen liegt uns sehr am Herzen.“ Sarah Kirsch 

Die Bundesfreiwilligen beginnen um 9 Uhr ihren Arbeitstag, schauen bei jedem Tier nach Auffälligkeiten, stellen frisches Wasser bereit, sammeln leere Futternäpfe ein, putzen Boxen und Räume, führen Futter- und weitere Listen. Jeder Igel hat eine Akte: Individuelle Bedürfnisse sind wichtig. Ziel ist, den Aufenthalt möglichst kurz zu halten und wenig Igelkontakt zu haben. Lange oder häufige Beschäftigung mit den Igeln – dazu gehört auch kuscheln und spielen – gewöhnen die Tiere an den Menschen. Das würde ihnen das Leben im natürlichen Umfeld erschweren. Dahin kehren die Igel zurück, sobald sie gesund und kräftig genug sind. „Wir wildern sie an ihren Fundstellen aus, wenn es nicht gerade befahrene Straßen oder bevölkerte Plätze waren“, sagt Thomas.

Pflegen, füttern, säubern: Sarah Kirsch kümmert sich um einen der aktuell 50 Gäste. (Foto: WSW)Igel im Winterschlaf
Nicht jedes Tier wird gesund. „Bei zu schwerwiegenden Leiden müssen wir die Igel einschläfern lassen“, sagt Thomas­. Diese und weitere fachmedizinische Maßnahmen leistet ein Arzt ehrenamtlich. Auch Thomas selbst macht viele Analysen im eigenen Stationslabor. „Wir arbeiten seit der Gründung fast rund um die Uhr“, sagt sie. Februar und März sind die ruhigsten Monate, im Winter ist am meisten los, maximal 120 Igel können auf der Station gleichzeitig betreut werden. 150 Igel brachte das Team voriges Jahr in ein speziell eingerichtetes, von einer Privatperson bereitgestelltes Quartier in den Winterschlaf. Den aktiviert ein Zusammenspiel von unter anderem Körpergewicht, Außentemperatur, Nahrungsmangel und Lichtverhältnissen. „Theoretisch dauert er von Oktober bis April“, sagt Thomas. Geänderte Lebensbedingungen hätten jedoch unterschiedliche Startzeiten und Schlaflängen zur Folge. Auch das hat das Team bei jedem Igel im Blick.


Ein Abschied fällt schon mal schwer. Die Benennung nach Nummern beugt einer Bindung nur bedingt vor – Ausnahmen bil­den Igel, deren Besitzer sie urlaubsbedingt vorübergehend in der Station pflegen lassen. Und besondere Tiere: „Hanni zum Beispiel haben wir zu Ehren einer ehemaligen Bundesfreiwilligen so genannt“, erzählt Kirsch. Andere Namen stammen von Kindergarten- oder Schulklassen, die zu pädagogischen Zwecken in der Station zu Besuch waren. „Wir wollen möglichst viele Menschen für Igelschutz sensibilisieren“, so Monika Thomas.