wsw.info: Luthiera Streich- und Zupfinstrumentenbau

Neue Saiten

Sarah C. Meyer hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. In ihrem Atelier in der Nordstadt haucht die 27-Jährige alten Geigen und Gitarren neues Leben ein. Für ihre Arbeit benötigt sie Fingerspitzengefühl, technisches Know-how – und viel Geduld.

Es riecht nach Holz. Wer die Räume von Luthiera in der Marienstraße betritt, wird von Zupf- und Streichinstrumenten in allen Größen und Formen begrüßt – und von einem ziemlich verschmusten Kater namens Merlin. Der habe eine Vorliebe für Gitarrenkoffer, sagt die Inhaberin Sarah Meyer. 

An der Wand im Atelier lehnt ein riesiger, alter Kontrabass. Genauer gesagt: die kläglichen Reste eines Kontra­basses. Das Ergebnis eines dilet­tan­tischen Reparaturversuchs. „Der Hals ist komplett abgebrochen und der Stimmstock im Innern wurde festgedübelt. Der darf eigentlich nur festgeklemmt werden“, erklärt Sarah Meyer die Misere. Ein musikalischer Totalschaden. Es handelt sich um einen Kellerfund, den ihr vor einiger Zeit ein Ölbergbewohner übergeben hat. Aber nicht als offiziellen Reparaturauftrag, sondern, damit zumindest die Chance besteht, dass das „gute Stück“ vielleicht irgendwann doch noch mal zum Leben erweckt wird. Aktuell hat Sarah Meyer jedoch keine Zeit dafür. Man sieht ihr aber an, dass der geschundene Kontrabass ihr geradezu leidtut.

Früher, so Meyer, sei in ihrer heutigen Werkstatt ein Postamt beheimatet gewesen, der ehemalige Schalter ist heute noch in Form einer Durchreiche erkennbar. Dahinter befindet sich Sarah Meyers Wohnung. Auch die alten Türrahmen im 50er-Jahre-Stil zeugen noch von längst vergangenen Zeiten. Im hinteren Bereich befindet sich die Werkstatt, gewissermaßen der „OP-Saal“ für Zupf- und Streichinstrumente. Dementsprechend sehen manche der Werkzeuge auch aus. So nutzt Sarah Meyer beispielsweise einen kleinen Handspiegel, wie man ihn vom Zahnarzt kennt, um durch die schmalen Schlitze – die sogenannten F-Löcher – ins Innere der Geige schauen zu können. Eine weitere Kuriosität sind die winzigen Wölbungshobel, mit denen die Oberfläche des Geigenkorpus bearbeitet wird. Das kleinste Exemplar misst vielleicht 2,5 Zentimeter in der Länge. Vor ihrer Werkbank hat Sarah Meyer eine Tageslichtlampe installiert. „Das hilft bei schlechtem Wetter gegen trübe Stimmung“, sagt sie. 

Wölbungshobel

Die kleinen Hobel werden für die Bearbeitung der inneren und äußeren Wölbung von Geigendecke und -boden verwendet. Es gibt sie mit gewölbten oder flachen Sohlen. Wölbungshobel sind meist aus Messing gefertigt. Das kleinste Exemplar ist der Herdim Micro Hobel mit einer Sohlenlänge von nur 12 Millimetern. 

Liebe zum Holz

Der Name der Werkstatt, Luthiera, ist eine Eigenkreation der gebürtigen Schleswig-Holsteinerin. Er leitet sich ab von dem französischen Wort „luthier“, was übersetzt so viel bedeutet wie Geigenbauer oder Lauten­macher. Sarah Meyer ist über ihre Vorliebe für Holzbearbeitung und der Leidenschaft zur Musik zum Instrumentenbau gekommen. Gelernt hat sie ihr Handwerk im sächsischen Vogtland, in einer der einzigen beiden Schulen in Deutschland. 

Mongolische Hengste

Die meisten Bogenhaare kommen aus China und der Mongolei. Dort werden die Schweifhaare gewaschen, sortiert und gebündelt. Für bessere Haltbarkeit werden nur die Haare von Hengsten verwendet – aus anatomischen Gründen sind die von Stuten zu sehr vom Urin an­gegriffen worden.

Wenn sie dann und wann zur Akustikgitarre greift, dann spielt sie am liebsten Folk. Aber muss man für den Beruf eigentlich musikalisch sein? „Streng genommen ist das nicht unbedingt notwendig, aber es hat schon viele Vorteile“, sagt Sarah Meyer. Wichtiger seien Feingefühl, eine gehörige Portion Geduld sowie auch der behutsame Umgang mit Menschen. Denn: „Viele hängen sehr an ihrem Instrument. Ganz oft gibt es eine emotionale Bindung. Da geht es um Erinnerungen, Assoziationen mit dem Klang oder es sind alte Familienerbstücke.“ Manchmal seien die Reparaturen sogar teurer als eine Neuanschaffung.

Schnelle Hilfe

Ihre Kunden kommen inzwischen aus dem ganzen Bergischen Land, einige aus Berlin oder Hamburg und eine Kundin sogar aus Indien. „Es kommt öfter vor, dass Musiker in der Region auf Tour sind und schnell Hilfe benötigen“, sagt Sarah Meyer. In diesem speziellen Fall ging es um eine indische Musikerin, die ihre Geige reparieren lassen wollte. Kein Problem für die gelernte Instrumentenbauerin, die das Instrument schnell wieder auf Vordermann brachte. 

100 kg

Mit dieser Kraft drücken die Saiten eines Kontrabasses über den Steg auf die Decke. Der Druck wird zum Teil auf den sogenannten Stimmstock übertragen, der zwischen Decke und Boden in den Korpus geklemmt wird. Bei einer Geige sind es immerhin rund 24 Kilogramm. 

Auch wenn sie durchaus in der Lage ist, selbst eigene Zupf- und Streich­instrumente zu bauen, so besteht der Großteil ihrer Arbeit doch aus Reparaturen. Nicht selten hat die junge Gesel­lin auch mit ausgesprochen wertvollen Instrumenten zu tun. Besonders Geigenspieler legten großen Wert auf ihr Arbeitsgerät, sagt Sarah Meyer. „Viele holen sich wirklich ein Instrument fürs Leben.“ Und dann gebe es da noch die Sammler, die ihre Instrumente als Wertanlage sehen und oftmals gar nicht darauf spielen können. „Ich frage meistens gar nicht nach dem genauen Wert des Instruments. Das macht nur nervös, wenn man daran arbeitet. Abgesehen davon hat jedes Instrument unabhängig vom Kaufpreis eine gute Behandlung verdient“, sagt sie. Die Faszination ihres traditionellen Handwerks sieht Sarah Meyer auch in der Tatsache, dass sich der Klang eines Instruments durch die Bearbeitung enorm beeinflussen lässt. Man kann gewissermaßen hören, was man gemacht hat. 

Ein ungewöhnlicher Auftrag

Vor einiger Zeit betrat eine ältere Dame die Werkstatt von Sarah Meyer und übergab ihr zwei reparaturbedürftige Geigen – eine einfache Kindergeige und eine Erwachsenengeige. Letztere ist in einer heute unüblichen Konstruktion gebaut worden. Meyer geht davon aus, dass es sich bei beiden Geigen um Instrumente aus dem vogtländischen Musikwinkel handelt, einer Region, die um die Jahrhundertwende ein globales Zentrum des Musikinstrumentenbaus war. Die Gesellin sollte beide Exemplare wiederherrichten und spielbar machen. Die Kundin wollte ihre Geigen allerdings nicht wiederhaben, sondern schenkte sie ihr einfach mit der Bitte, dass sie wieder genutzt werden sollen. 

Es stellte sich heraus, dass es sich bei den beiden Instrumenten um Mitbring­sel des Großvaters handelte. Der hatte sie mit nach Hause gebracht, als er aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Jahrelang lagen die Instrumente in einem Bettkasten versteckt, bis sie als Kind groß genug war, um darauf zu spielen. Eine ergreifende Geschichte, die der Besucherin bei der Übergabe Tränen in die Augen trieb. Aber sie blieb dabei: Die Geigen sollten gespielt werden. Das Kindermodell hat Meyer inzwischen wieder aufgepäppelt, es befindet sich zurzeit als Leihinstrument im Außeneinsatz. Die große Geige muss sich derweil noch etwas gedulden, bis sie dann endlich wieder erklingen darf. 

Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Stefanie vom Stein